VwGH 2005/11/03, 2002/15/0124
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr.
W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Fuchs, Dr. Zorn und Dr.
Mairinger als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Twardosz,
LL.M., über die Beschwerde des Präsidenten der Finanzlandesdirektion
für Wien, Niederösterreich und Burgenland gegen den Bescheid der
Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland
(Berufungssenat VIIa) vom 31. Mai 2002, GZ. RV/122-17/15/02,
betreffend Einkommensteuer für das Jahr 2000 (mitbeteiligte Partei: J in
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge
Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die mitbeteiligte Partei machte im Rahmen ihrer Einkommen-
steuererklärung für das Jahr 2000 einen Betrag von 146.723,14 S als
außergewöhnliche Belastung geltend. Nach den über Aufforderung des
Finanzamtes vorgelegten Belegen handelte es sich dabei um den
Gesamtbetrag verschiedener Rechnungen über ärztliche Leistungen u.a.
eines Institutes für Sterilitätsbetreuung (etwa betreffend "ICSI-IVF-
Pauschale" oder das Medikament Viagra). Mit der Begründung, Kosten
der künstlichen Befruchtung (In- vitro-Fertilisation) stellten keine
außergewöhnliche Belastung dar, berücksichtigte das Finanzamt die
geltend gemachten Ausgaben im Einkommensteuerbescheid für das Jahr
2000 nicht. In der Berufung führte die mitbeteiligte Partei aus, bei der
Erstellung der Einkommensteuererklärung für das Jahr 2000 sei eine
außergewöhnliche Belastung für eine künstliche Befruchtung (In- vitro-
Fertilisation) in Höhe von 146.723,14 S geltend gemacht worden. In der
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"Rechtsprechung und in den Kommentaren" werde teilweise noch die
Meinung vertreten, eine künstliche Befruchtung stelle keine
außergewöhnliche Belastung dar. Diese Meinungen stammten jedoch aus
einer Zeit, in der noch andere gesetzliche Bestimmungen gegolten hätten.
Seit Inkrafttreten des In-vitro- Fertilisation-Fonds-Gesetzes mit 1. Jänner
2000 würden 70 % der Behandlungskosten von den Krankenkassen und
dem Familienlastenausgleichsfonds übernommen. Kein Zuschuss werde
allerdings gewährt, wenn die Frau über 40 Jahre alt sei. Deshalb sei der
mitbeteiligten Partei auch kein Kostenersatz zugestanden. Wenn daher
die Anerkennung einer außergewöhnlichen Belastung bei der
Einkommensteuer verwehrt werde, "würde dies eine Ungleichbehandlung
darstellen, die nicht gerechtfertigt sei". Nach der Wiedergabe eines
Auszuges aus "SWK 9/1998 Seite 285" (in diesem Artikel wird im
Wesentlichen ein Urteil des BFH besprochen, wonach die
Empfängnisunfähigkeit einer verheirateten Frau als Krankheit im Sinne
des Einkommensteuerrechtes zu behandeln sei, weshalb Kosten einer so
genannten homologen künstlichen Befruchtung als
Heilbehandlungskosten als außergewöhnliche Belastung Berücksichtigung
finden könnten) wird in der Berufung der Antrag gestellt, den
Einkommensteuerbescheid 2000 abzuändern und als außergewöhnliche
Belastung die geltend gemachten Arztkosten von 146.723,14 S sowie
zusätzlich 15 Fahrten für die Arztbesuche mit dem Kilometergeld in Höhe
von 13.524 S (Gesamtkosten sohin 160.247,14 S) als außergewöhnliche
Belastung zu berücksichtigen. Mit dem angefochtenen Bescheid gab die
belangte Behörde der Berufung der mitbeteiligten Partei Folge. Strittig sei,
ob die von der mitbeteiligten Partei unter dem Titel der
außergewöhnlichen Belastung "infolge einer künstlichen Befruchtung"
geltend gemachten Aufwendungen gemäß § 34 EStG 1988 steuerlich zu
berücksichtigen seien. Unter Sterilität werde die Unfruchtbarkeit der Frau
bzw. die Zeugungsunfähigkeit des Mannes verstanden. Die im Jahr 1959
geborene mitbeteiligte Partei habe für das Jahr 2000 auf Grund ihrer
Empfängnisunfähigkeit die Kosten im Zusammenhang mit einer
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künstlichen Befruchtung (In-vitro-Fertilisation) als außergewöhnliche
Belastung geltend gemacht. Die diesbezüglich vorgelegten Honorarnoten
seien im Zeitraum April bis November 2000 von Univ. Prof. Dr. W.F.
(Institut für Sterilitätsbetreuung) bzw. Dr. L. ausgestellt worden. Da die
mitbeteiligte Partei bereits über 40 Jahre alt gewesen sei, sei durch die
Krankenkasse keine Kostenübernahme erfolgt, weil nach § 4 des In-vitro-
Fertilisation- Fonds-Gesetzes, BGBl. I Nr. 180/1999, ein Anspruch auf
Kostentragung für höchstens vier Versuche pro Paar und angestrebter
Schwangerschaft nur dann gegeben sei, sofern die Frau das 40. und der
Mann das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet hätten. Im Erkenntnis vom
17. Oktober 1989, 89/14/0124, habe der Verwaltungsgerichtshof die
Auffassung vertreten, dass die Belastung durch Kosten zur Herbeiführung
einer In-vitro- Fertilisation bei Fortpflanzungsunfähigkeit der Ehefrau
wegen Eileitervernarbung für den Ehemann keine außergewöhnliche
Belastung darstelle, weil das Merkmal der Zwangsläufigkeit im Sinne des
§ 34 Abs. 3 EStG 1972 fehle. Mit der Frage, ob die Empfängnisunfähigkeit
der Ehefrau bei dieser eine Krankheit darstelle, habe sich der
Verwaltungsgerichtshof in diesem Erkenntnis allerdings nicht auseinander
gesetzt, sondern lediglich darauf hingewiesen, dass Kinderlosigkeit selbst
nie eine Krankheit sei, weil es auch freiwillige oder erwünschte
Kinderlosigkeit gebe. Der Verwaltungsgerichtshof räume jedoch ein, dass
die Kinderlosigkeit krankhafte Veränderungen zur Ursache haben könne.
Im Urteil vom 18. Juni 1997, III R 84/96, BStBl II 805, sei der deutsche
Bundesfinanzhof (BFH) zur Ansicht gelangt, dass die homologe künstliche
Befruchtung die Merkmale einer Heilbehandlung erfülle und die Kosten
der Behandlung der Empfängnisunfähigkeit der Frau als Krankheitskosten
Die belangte Behörde folge der in diesem Urteil vertretenen Auffassung
und sehe eine außergewöhnliche Belastung "hinsichtlich der selbst zu
tragenden Kosten insbesondere dann als gegeben an, wenn dem
medizinischen Eingriff Fortpflanzungsunfähigkeit - als für die in Ausübung
des Selbstbestimmungsrechtes, sich für ein eigenes Kind zu entscheiden,
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biologisch notwendige Körperfunktion - zugrunde liegt". Auf Grund der von
der mitbeteiligten Partei vorgelegten Honorarnoten des Univ. Prof. Dr. W.
F. (Institut für Sterilitätsbetreuung) gehe die belangte Behörde davon aus,
dass sich die mitbeteiligte Partei auf Grund ihrer - krankhaften -
Empfängnisunfähigkeit einer Sterilitätsbehandlung sowie einer homologen
künstlichen Befruchtung unterzogen habe und demnach am Vorliegen
einer Heilbehandlung kein Zweifel bestehe. Eine anders lautende
rechtliche Beurteilung hätte im Fall einer heterologen Befruchtung zu
erfolgen (somit bei einer Befruchtung mit dem Samen eines Mannes, der
nicht der Ehemann sei), weil durch "die Befruchtung der Eizellen einer
gesunden Frau mit Samenzellen eines Dritten infolge Zeugungsun-
fähigkeit des Ehegatten die Krankheit desselben nicht beseitigt wird".
Anhaltspunkte dafür, dass im Beschwerdefall eine heterologe Befruchtung
stattgefunden habe und demzufolge die Ursache für die In-vitro-
Fertilisation nicht in der Empfängnisunfähigkeit der mitbeteiligten Partei
begründet sei, sondern in der Zeugungsunfähigkeit des Ehemannes, seien
weder aus den vorgelegten Honorarnoten ersichtlich noch dem Vorbringen
der mitbeteiligten Partei zu entnehmen. Der Berufung sei somit
stattzugeben und die außergewöhnliche Belastung in Höhe von
160.247,14 S anzuerkennen gewesen. Gemäß § 292 BAO (idF vor dem
AbgRmRefG BGBl. I Nr. 97/2002) hat der Präsident der
Finanzlandesdirektion gegen diesen Bescheid Beschwerde erhoben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im Beschwerdefall erweist sich die vom beschwerdeführenden
Präsidenten erhobene Verfahrensrüge als berechtigt, in der er vorbringt,
die belangte Behörde habe es unterlassen, zur In-vitro- Fertilisation
schlüssig festzustellen, weshalb sie ihrer Beurteilung eine
Empfängnisunfähigkeit der mitbeteiligten Partei zu Grunde gelegt habe.
Wegen dieses zu Recht in der Beschwerde aufgezeigten
Verfahrensmangels war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrig-
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keit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften nach § 42 Abs. 2 Z 3
VwGG aufzuheben. Für die abschließende Beurteilung werden
Feststellungen über die Ursache der Fortpflanzungsunfähigkeit zu treffen
sein, denn eine freiwillig herbeigeführte Fortpflanzungsunfähigkeit würde
die Anerkennung als außergewöhnliche Belastung ausschließen (vgl. in
diesem Zusammenhang die Urteile des BFH vom 3. März 2005, IIIR
68/03, und vom 18. Juni 1997, IIIR 84/96, BStBl II 805); für den Fall einer
Fortpflanzungsunfähigkeit des Ehemannes werden auch Feststellungen
über die Kostentragungspflicht durch die mitbeteiligte Partei erforderlich
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