O R I G I N A L B E I T R Ä G E
systhema 3/2003 · 17. Jahrgang · Seite 215-230
Gewaltfreier Widerstand im Umgang mit gewalttätigen Kindern mit Zwangsstörungen Haim Omer Zusammenfassung
Im Gegensatz zu der herrschenden Meinung, wonach Kinder mit Zwangsstörungen nichtgewalttätig sind, stellte sich heraus, dass 20 % der von Eltern als gewalttätig bezeichnetenKinder unter solchen Störungen litten. Diese kindliche Tyrannei zeigte sich in zwei Erschei-nungsformen: Kinder, die versuchten, jeden Aspekt des Familienlebens zu diktieren, undKinder, die sich in ihr Zimmer einmauerten und allen den Eintritt oder jegliche Änderung ihresTerritoriums verboten. Versuchen seitens der Eltern diese Bestimmungen herauszufordernwurde mit endlosem Schreien, absichtlicher Schlafverweigerung, Zerstörung von Familien-eigentum, körperlichen Angriffen und Suiziddrohungen begegnet. Ein Programm von ge-waltfreiem Widerstand wurde entwickelt, um mit der Aggression ohne Eskalation umzugehen. Vorbemerkung
In der Literatur über Kinder mit Zwangsstörungen wird die Anfälligkeit dieser Kinder fürGewalttätigkeit kaum erwähnt. Zwangsstörungen gelten wie Angststörungen und Depres-sion meist als „internalisierende“ Störungen, Gewalttätigkeit dagegen ist die Haupt-charakteristik der so genannten „externalisierenden“ Störungen: Gewalttätigkeit bei Kin-dern mit Zwangsstörungen ist folglich nicht zu erwarten. Von der Psychodynamik her geltendie Neigung zu öffentlicher Gewalttätigkeit und die Neigung zu Zwangsstörungen alsentgegengesetzte Anlagen. Auch in der pragmatisch orientierten Literatur der Verhaltens-therapie findet man keine Berücksichtigung der Frage, wie man Gewalttätigkeit bei Kindernmit Zwangsstörungen behandeln soll. Es war für uns also eine Überraschung, als sich imRahmen eines Projekts1 mit Eltern von aggressiven Kindern herausstellte, dass 20% dieserKinder unter Zwangsstörungen litten! Die Gewalttätigkeit dieser Kinder ließ sich dabei überzwei Muster beschreiben:
(a) die kontrollierenden Kinder: diese Kinder stellten ihren Eltern strikte Forderungen, wie
diese sich zu benehmen hatten und wie das Leben zu Hause geregelt werden musste,
(b) die sich einmauernden Kinder: diese Kinder schnitten sich von der äußeren Welt und
von einem oder beiden Eltern ab und schlossen sich tagsüber in ihrem Zimmer ein.
1) Dieses Projekt wurde vor sechs Jahren in der Abteilung für Psychologie der Tel-Aviv Universität
durchgeführt. Die Eltern wurden durch eine Anzeige in Zeitungen rekrutiert, die sich an „Eltern,die sich vor ihren Kindern fürchten“, wendete. Aus 200 aggressiven Kindern in unserer Stich-probe passten 40 zu der Beschreibung im vorliegenden Artikel. O R I G I N A L B E I T R Ä G E O R I G I N A L B E I T R Ä G E
Gewaltfreier Widerstand im Umgang mit gewalttätigen Kindern mit Zwangsstörungen
Bei beiden Mustern pflegten die Kinder mit heftiger Gewalt zu reagieren, falls die Eltern ihre
dass die Eltern im Umgang mit den Geschwistern die strikteste Symmetrie bewahren
Bedingungen nicht zur Genüge erfüllten. In diesem Artikel werden diese eigentümlichen
(die Betroffenen haben diesbezüglich eine exakte Buchführung, die sich bis weit in die
Muster und der Umgang mit ihnen durch gewaltfreien Widerstand beschrieben.
Ein 15-jähriges Mädchen zwängte ihren Eltern das folgende Ritual zum Schlafengehen auf:
Kontrollierende Kinder
Vor dem Schlafengehen kam sie ins Elternzimmer und forderte, dass die Mutter sichaufrichtete, ihr ins Gesicht schaute und ihr stillschweigend zuhörte, während die Tochter die
Charakteristika
lange Reihe der mütterlichen Verbrechen seit der entferntesten Kindheit aufzählte. Diese
Diese Kinder sind fast immer nur zu Hause gewalttätig, nach außen hin sind sie oft artig und
Rede wurde von Schimpfworten und unflätigen Gesten begleitet und dauerte ungefähr 20
beliebt. Sie neigen zu Perfektionismus und sind oft sehr pedantisch, was ihr Aussehen und
Minuten. Danach zog sich das Mädchen in ihr Zimmer zurück, wo sie auf den Vater wartete.
ihre Leistungen anbelangt. Ihre hohen Standards können eine hindernde, aber auch eine
Dieser kam herein, prüfte das Schloss der beiden Fenster auf eine ritualisierte Weise,
anspornende Wirkung auf ihre Leistungen haben. Im Umgang mit den Eltern können die
untersuchte den Schrank und schaute gründlich unter das Bett, um sich zu vergewissern, dasssich keine Einbrecher oder Terroristen versteckten, schüttelte das Bettzeug und die Decke,
Forderungen, die ihr Leben und das ihrer Eltern minutiös regeln, zu totalitären Ausmaßen
um sicherzustellen, dass sie insektenfrei waren, machte wieder das Bett, setzte sich zum
anwachsen. Die kleinste Abweichung der Eltern von der exakten Ausführung der kindlichen
Mädchen und redete ihm tröstend zu, wie sehr er es liebte und wie schlimm es unter den
Forderungen wird aufs strengste bestraft. Die Mehrzahl dieser Kinder erfüllen die diagnos-
Ungerechtigkeiten der Mutter zu leiden hatte. Der kleinste Verstoß gegen diese Forderungen,
tischen Kriterien des DSM-IV für Zwangsstörungen. Sie zwingen der Familie jeweils eine
z.B. falls die Mutter es wagte, gegen die Beschimpfungen zu protestieren, löste den heftigsten
ganze Reihe von Zwangshandlungen und Ritualen auf, z. B.:
Zornausbruch aus, der manchmal stundenlang andauern konnte.
zwanghaftes Waschen (mehrere Stunden am Tag und unter der strikten Bedingung, dass
Eine 25-jährige Ärztin zwang ihre Eltern, ihr über alle Besuche, die sie bekamen oder
sie sich stets als erste in der Familie duschen, auch wenn die Eltern und Geschwister
abstatteten, und über alle Telefongespräche (die für diesen Zweck sorgfältig aufgezeichnetsein mussten) zu berichten. Es gab eine ganze Reihe von verbotenen Gegenständen und
Namen, die sie nie erwähnen durften. Die Eltern mussten ihre eigene Arbeit so regeln, dass
Mahlzeitrituale (besonderes Geschirr und Besteck, besondere Weise das Essen auszu-
sie täglich die Tochter zur Arbeit und zurück fahren konnten, obwohl beide Eltern arbeiteten
geben und manchmal auch die absolute Forderung, als erste ihre Portion aus dem Topf
und die Arbeitsstunden der Tochter sich stets änderten. Diese und ähnliche Forderungen
zu bekommen, auch wenn die Eltern und Geschwister bis zum Abschluss ihres Hände-
waren schon ungefähr 12 Jahre zuvor entstanden und die Eltern hatten seit der Zeit nie
die Forderung, dass ihre Wäsche gesondert von der Wäsche der anderen Mitglieder der
Die aufgestellten Regelungen werden jeweils durch sofortige Bestrafungen aufrechterhal-
Familie gewaschen wird (in einem Fall musste die Mutter die Maschine einmal ganz leer
ten, wie beispielsweise stundenlanges Geschrei, erzwungene Schlaflosigkeit für die ganze
spülen lassen, bevor dann die Wäsche des Betroffenen eingelegt werden konnte),
Familie, Zerstörung von persönlichen Gegenständen, willkürliches Zerreißen wichtiger
die obsessive Nachprüfung aller Sicherheitsvorkehrungen (z.B. nicht enden wollende
Papiere (z. B. von Arbeitsunterlagen der Eltern), Verstecken von wichtigen Gegenständen
Rituale, die die Eltern unter ihrer Beaufsichtigung ausführen müssen, wobei alle Türen
oder Unterlagen, Umkippen und Umwerfen des Inhalts von Schränken und Schubladen,
und Fenster des Hauses fünf- oder zehnmal geprüft werden),
Hiebe, Bisse sowie Mord- oder Selbstmorddrohungen. Diese Strafen können zu einem
obsessive Sammlungen (z.B. das Aufnehmen ganzer Serien von Soap-Operas, wofür die
großen Teil erklären, warum sich die Eltern eine Einstellung von unbedingter Ergebenheit
Eltern verantwortlich sind, wenn die Kinder nicht zu Hause sind) usw.
aufzwingen lassen. Es gibt jedoch auch andere Gründe: Die Eltern legen sich selbst die
Einige dieser Kinder haben keine spezifischen Zwangssymptome, dafür zeigten sie andere
Pflicht des Gehorsams auf wegen ihrer Sorge um das Kind und ihrer Schuldgefühle
ausgeprägte obsessive Neigungen, wie die Forderungen
hinsichtlich vermeintlicher Schäden, die sie dem Kind ihrer Meinung nach zugefügt haben. Außerdem sind die Eltern überzeugt, dass das Kind nichts dafür kann, da es aus pathologi-
dass alles zu Hause genau so geregelt sein muss, wie sie es wollen, dass ihr Zimmer
schen Gründen gezwungen sei, sich auf diese Weise zu benehmen. Sie fürchten, dass
unter keiner Bedingung je betreten werden darf (manchmal werden auch andere
jeglicher Versuch ihrerseits, sich diesen pathologischen Erscheinungen zu widersetzen, die
Hausgebiete diesem Verbot hinzugefügt, z. B. dass die Küche keineswegs betreten
schlimmste Wirkung auf den seelischen Zustand des Kindes haben könne. Die Chimäre von
werden darf, wenn sie sich darin befinden),
einem Zusammenbruch bzw. Suizid schwebt ihnen oft lähmend vor Augen. O R I G I N A L B E I T R Ä G E O R I G I N A L B E I T R Ä G E
Gewaltfreier Widerstand im Umgang mit gewalttätigen Kindern mit Zwangsstörungen
Gewaltfreier Widerstand im Umgang mit kontrollierenden Kindern
Eltern von kontrollierenden Kindern berichten über stets neue Versuche, ein klares
Die Anwendung der sozial-politischen Doktrin des gewaltfreien Widerstandes2 auf dem
Abkommen mit ihnen zu treffen bzw. über den Umgang zu Hause einen formellen Vertrag
Gebiet der Familie und besonders im Umgang mit aggressiven Kindern ergibt sich aus
zu schließen. Die Neigung zwangsgestörter Kinder zum Argumentieren führt zu der
mehreren Gründen: (a) diese Doktrin hilft den Eltern jegliche Gewalttätigkeit ihrerseits zu
Vorstellung, dass die Probleme durch eine vernünftige Diskussion und dann vielleicht durch
überwinden; (b) sie gibt den Eltern die Möglichkeit, sich entschieden der kindlichen
einen verbindenden Vertrag geregelt werden könnten. Diese Hoffnung ist zumeist eine
Aggressivität zu widersetzen, ohne in eine Eskalation zu geraten; (c) sie erlaubt den Eltern
Illusion. Kontrollierende Kinder argumentieren nicht, um zu einem gemeinsamen Schluss
sich zugleich der kindlichen Aggressivität zu widersetzen und ihre Liebe und Sorge
zu kommen, sondern um den Eltern Schuld zuzuweisen und die eigenen Rechtsvor-
auszudrücken; (d) sie ist annehmbarer als andere Arten von Disziplin. Eine detaillierte
stellungen zu festigen. Jeglicher Versuch der Eltern, die Zustände mit denen der anderen
Ausarbeitung dieser Punkte findet sich in Omer & v. Schlippe (2002).
Geschwister auszugleichen, führt nur dazu, dass den Eltern uralte Rechnungen und endlose
Im Umgang mit Eltern von kontrollierenden Kindern ist es dabei wichtig, zunächst
Zinsen präsentiert werden. Der Drang nach Symmetrie von obsessiv-kompulsiven Kindern
bestimmte Prämissen zu berücksichtigen, die dem elterlichen Verhalten zugrunde liegen
führt nicht zu einem Gefühl von Ruhe und Gleichgewicht, sondern nur in eine Dynamik von
können. Ich habe sie hier in der Form von Illusionen beschrieben, da sie unrealistische
immer weiter steigenden Forderungen. Es ist, als ob der Versuch der Eltern, dem Bedürfnis
Überzeugungen über die Möglichkeiten des Umgangs mit dem kindlichen Zwang darstel-
des Kindes nach symmetrischem Ausgleich nachzukommen, sein Gefühl nur verschärfte,
len, ein erhebliches Eskalationsrisiko enthalten und den elterlichen Widerstand schwächen
dass die wirkliche Symmetrie noch weit entfernt liegt.
Die Illusion der aufgezwungenen oder aufgekauften Therapie
Die Illusion der Überredung und der Entschädigung
Die Einsicht der Eltern, dass das kontrollierende Benehmen des Kindes aus einer bestimm-
Das kontrollierende Kind wirft den Eltern vor, dass es von ihnen diskriminiert und schlecht
ten Störung (obsessiv-kompulsive Störung) entsteht, erweckt die Hoffnung, dass die Lösung
behandelt worden sei: die Eltern hätten die anderen Kinder vorgezogen, sich nur um ihre
in einer psychologischen oder psychiatrischen Therapie liege. Tatsächlich kann eine solche
eigene Karriere gekümmert o. ä. und seien dem Kind daher Entschädigung und Wiedergut-
Therapie dem obsessiv-kompulsiven Kind behilflich sein, wenn das Kind daran interessiert
machung schuldig. Die Abrechnung mit den Eltern geht weit zurück, manchmal bis zu der
ist. Die Lage ist aber weniger vielversprechend, wenn die Therapie dem Kind aufgezwungen
Zeit seiner Geburt oder sogar darüber hinaus. Die Forderung nach Symmetrie und nach
oder durch weitgehende Zugeständnisse erkauft wird. Einige Beispiele: Eine allein erzie-
einem totalen Ausgleich der vermeintlichen Schäden führt dazu, dass die Wirklichkeit dem
hende Mutter, die ihren 15-jährigen Sohn ertappte, erhebliche Beträge von ihr gestohlen zu
Kind stets mangelhaft und enttäuschend vorkommt. Ironischerweise führt jeglicher Versuch
haben, verzichtete auf Rückzahlung gegen seine Zustimmung eine Therapie einzugehen;
der Eltern, das Kind zu überreden oder zu entschädigen, nur zu einer eskalierenden
die Eltern eines 13-jährigen Mädchens erklärten sich bereit bei ihren Zu-Bett-geh-Ritualen
Verwicklung. Je mehr sich die Eltern anstrengen, dem Kind entgegenzukommen, desto
mitzumachen, wenn sie ihre Medikamente nehmen würde. Hier zahlen die Eltern einen
stärker wird die Überzeugung des Kindes, dass seine Klagen der Wahrheit entsprechen. Bei
doppelten Preis: zum einen wegen der Verschlimmerung der Lage zu Hause und zum
den Fällen in unserem Projekt gab es kein einziges Beispiel, wo die Entschädigungsversuche
anderen damit, dass das Kind nun über ein weiteres Druckmittel verfügt, nämlich die
der Eltern zu der erhofften Reaktion geführt hätten. Im Gegenteil: die Eltern mussten meist
Drohung, die Therapie oder die Medikamenteneinnahme zu beenden. Die Aussicht für eine
entsetzt feststellen, dass ihr Versuch die entgegengesetzte Reaktion hervorrief. Das Kind
so erkaufte oder aufgezwungene Therapie ist ziemlich negativ: auch wenn die Therapie
nahm zwar das elterliche Geschenk entgegen, aber mit saurer Miene und manchmal unter
eine Verbesserung der obsessiv-kompulsiven Symptome erlangt, geht diese fast nie mit einer
ausgesprochener Demütigung der Eltern. Ein Kind sagte sogar, dass wenn die Eltern sich so
Besserung einher, was das Benehmen des Kindes seinen Eltern oder Geschwistern gegen-
sehr anstrengten, ihm gegenüber ihre Schuld zu büßen, könne das nur bedeuten, dass ihre
über anbetrifft. Das Kind fährt zumeist mit seinem kontrollierenden Verhalten fort. Die Lage
wirkliche Schuld noch größer war, als es dies ursprünglich gemeint hatte.
kann anders sein, wenn das Kind ein eigenes Interesse an der Therapie (ohne elterlichenDruck oder Bestechung) ausdrückt. Jedoch müssen die Eltern, falls das Kind seine Therapiezu verlassen droht, wenn sie „ihr Benehmen ihm gegenüber nicht verbessern“, bereit seinihm zu antworten, dass es seine Therapie ist, und wenn es so will, es sie verlassen darf.
2) Eine systematische Darstellung dieser Doktrin, deren berühmteste Vertreter Mahatma Gandhi
und Martin Luther King waren, findet sich in dem Werk von Sharp (1973). O R I G I N A L B E I T R Ä G E O R I G I N A L B E I T R Ä G E
Gewaltfreier Widerstand im Umgang mit gewalttätigen Kindern mit Zwangsstörungen
Die Eltern von Kindern mit Zwangsstörungen fragen sich oft, ob diese Kinder es ertragen
Unterschied von den üblichen therapeutischen Zielen in der vorliegenden Arbeit mit diesen
könnten, wenn die Eltern sich weigerten bei ihren Ritualen mitzumachen. Sie fürchten, dass
Kindern: Der Fokus der Änderung sind nun die Eltern bzw. wie sie ihr Benehmen so ändern
so eine Weigerung zu einem Ausbruch extremer Angst, zur Psychose oder sogar einem
können, dass sie absurden Forderungen nicht mehr nachgeben und sich nicht mehr zu
Suizidversuch führen könnte. Nach unserer Erfahrung mit mehreren solcher Fälle bestätig-
ten sich diese elterlichen Befürchtungen nicht. Wir wagen zu behaupten, dass dieZwangssymptome umso stärker werden, je mehr die Eltern den kompulsiven Forderungen
Fallbeispiel 1: Wer ändert sich? Das Kind oder die Eltern?
nachgeben; dahingegen führt der gewaltfreie Widerstand, wenn nicht zu einer Besserung
Leo zeigte Zwangshandlungen seit dem frühesten Alter. Die Eltern (Mario und Susanne)
aller Symptome, so doch wenigstens dazu, dass ihre Ausdehnung eingedämmt wird. Diese
mussten tagtäglich eine Reihe von Ritualen ausführen: vor dem Schlafengehen musste eine
These bedarf der Erklärung. Unserer Meinung nach weist die Erscheinung von Zwangshand-
Geschichte stets mit denselben Worten erzählt werden, die Decke auf exakte Weise
lungen darauf hin, dass das Kind ein tiefes Bedürfnis nach Struktur und Gesetzmäßigkeit hat.
aufgelegt und die Puppen in derselben Reihenfolge auf das Bett gesetzt werden; morgens
Falls diese Struktur von außen nicht zu bekommen ist, erzeugt es sie von innen. Dadurch,
mussten die Eltern sich von Leo mit immer genau den selben Gesten verabschieden; sie
dass die Eltern sich den Forderungen des Kindes ergeben, wird die Struktur der Außenwelt
mussten sich nach einem genau vorgelegten Verfahren zum Essen setzen und das Essen
verschwommener und dabei wird der innerliche Drang und das Bedürfnis des Kindes nach
servieren. Die Rituale, die schon da waren, verstärkten sich erheblich nach der Geburt von
Struktur verstärkt. Wenn es so sein sollte, wirkt sich der elterliche Versuch, die Zustimmung
Leos Bruder Dan, als Leo vier Jahre alt war. Leo klagte immer, dass die Mutter den kleinen
des Kindes zu einer Therapie durch Zugeständnisse zu erlangen, genau so aus, wie der
Bruder bevorzuge. Mario identifizierte sich mit Leo und beschuldigte Susanne, dass sie Leo
Versuch der Eltern eines zuckersüchtigen Kindes, seine Zustimmung zu einer medizini-
diskriminiere. Susanne leugnete nicht, dass sie wärmer zu Dan war, aber sie fügte hinzu,
schen Behandlung durch grenzenlosen Nachschub von Süßigkeiten zu erkaufen.
dass ihre Beziehung zu Leo sich die Jahren hindurch als natürliche Folge von seiner Gewalt
Wegen der eskalationsfördernden Rolle, die diese drei Illusionen in der Beziehung
zwischen Eltern und kontrollierenden Kindern spielen, ist es höchst wichtig, dass die Eltern
Als die Eltern in unser Programm eintraten, war Leo 17 und bekam schon über ein Jahr
sich jeglicher Handlung enthalten, die auf einer der drei Illusionen gründet. Zu diesem
Medikamente (Prozac) gegen seine Zwangshandlungen. Die Medikamente hatten eine
Zwecke gilt es die folgenden Botschaften dem Kind zu vermitteln:
mildernde Wirkung auf seine privaten Zwangshandlungen (stundenlanges Händewaschen
dass die Eltern das Kind nicht überzeugen können, dass es nicht diskriminiert und
und langwierige Morgenrituale), aber nicht auf seine extremen Forderungen von der
Familie: die Eltern und die Brüder durften keine Gäste einladen, keine Musik hören (außer
dass sie es nicht für seine schlimmen Gefühle entschädigen können,
mit Kopfhörer) oder fernsehen und sie durften nur flüsternd miteinander plaudern oder
dass sie ihre Fehler nie zu seiner Befriedigung beheben werden können,
telefonieren. Diese Verbote wurden dadurch erklärt, dass der Lärm seine Studien störe – Leo
dass sie nicht mit ihm zu einem Vertrag über die gegenseitigen Pflichten gelangen
selbst dagegen pflegte in großer Lautstärke Musik zu hören und fernzusehen. Eltern und
Bruder mussten sich nach einer bestimmten Reihenfolge duschen (erst nachdem Leo sich
dass sie ihr Geben nicht von seinem Benehmen abhängig machen werden,
schon stundenlang geduscht hatte) und Leo bemaß ihnen genau die Zeit, die sie unter der
dass sie es nicht dazu bringen können, dass es sich benimmt, wie sie es wollen,
Dusche verbleiben durften. Die Familie musste auf ihn warten, bevor sie zu Essen
dass sie es nicht dazu bringen können, dass es einer Therapie zustimmt.
begannen, weil Leo sich weigerte, von einem angebrochenen Topf zu essen; die Muttermusste Leo hin und her fahren, da Leo sich ekelte, mit dem Bus zu reisen (die Fahrt hindurch
Die Aufgabe von diesen Illusionen ermöglicht die Entwicklung eines funktionalen Pro-
unterlag sie dem strikten Verbot das Radio oder die Klimaanlage anzumachen oder ein
gramms von gewaltfreiem Widerstand. Von da an können sich die Eltern auf erreichbare
einziges Wort zu sprechen). Die geflüsterten Telefongespräche der Eltern standen unter
Ziele konzentrieren bzw. sich vornehmen, nicht weiter als hilflose Opfer zu dienen, nicht
strenger Beaufsichtigung: die schiere Erwähnung seines Namens oder seiner Angelegenhei-
passiv zu bleiben angesichts der Gewalttätigkeit gegen die anderen Kinder und mit ihrem
ten führten unmittelbar zum Abstellen des Telefons; die Mutter musste andauernd Leos
Problem nicht länger allein zu bleiben. Der Zweck des gewaltfreien Widerstandes ist nicht
Handtücher hinter ihm auflesen, da Leo das Handtuch nur einmal zu benutzen pflegte und
die „Heilung“ der Zwangsstörung, sondern die Einstellung der gewalttätigen Kontrolle. Es
da er seine Hände ziemlich lange trocknete, pflegte er dies im Herumgehen zu tun und das
gilt hervorzuheben, dass diese Einstellung die Ausdehnung der Zwangserscheinungen
Tuch auf den Boden zu werfen. Außer diesen Forderungen pflegte Leo seine Mutter jedes
eingrenzt, aber dadurch wird das Kind nicht „normal“. Es gibt einen weiteren tiefen
O R I G I N A L B E I T R Ä G E O R I G I N A L B E I T R Ä G E
Gewaltfreier Widerstand im Umgang mit gewalttätigen Kindern mit Zwangsstörungen
Mal, wenn er ihr begegnete, zu beschimpfen. Mitunter, z. B. wenn sie saß und las, kam Leo
Dieser Sitzung wohnten außer den Eltern noch fünf Personen bei. Ihnen wurde die
zu ihr geschlichen und brüllte ihr Schimpfwörter ins Ohr. Auch Dan war Opfer von
Familienlage eingehend beschrieben, die gewalttätigen Ausbrüche der Eltern gegen Leo
verschiedenen Demütigungen: wenn sich die beiden Geschwister gleichzeitig im Gang
eingeschlossen. Die Eltern erklärten ihre Selbstverpflichtung sich jeglicher Gewalttätigkeit
befanden, pflegte Leo Dan gegen die Wand zu quetschen. Manchmal baute Leo sich vor
zu enthalten. Sie beschlossen, fortan nicht mehr auf Leos Forderungen einzugehen. Von nun
Dans Zimmertür auf, um ihm den Eingang minutenlang zu blockieren. Der Vater wurde
ab würden sie Gäste einladen und sich duschen, wann sie wollten, sie würden nicht auf Leo
milder behandelt als Mutter und Bruder. Jedoch war er genau wie sie verpflichtet, alle
warten, bis sie mit dem Essen anfingen, und nicht die Forderung nach absoluter Stille
Forderungen einzuhalten. Das Peinlichste für ihn war das Gebot, sich jeglichen Ausdrucks
akzeptieren. Die Helfer stimmten zu, dass sie sich an Leo wenden würden, um ihm zu sagen
von Liebe und Zärtlichkeit der Mutter oder Dan gegenüber zu enthalten: wenn er in diese
(persönlich, telefonisch oder sogar schriftlich), dass die Eltern ihnen über sein und ihr
Richtung „ausrutschte“, folgte ein heftiger Ausbruch von Klagen und Schimpfen. Weiterhin
gewalttätiges Benehmen berichtet und sich verpflichtet hatten, ihn auf keinen Fall mehr zu
pflegte Leo die Mutter in ihrer Arbeit zu stören: sie war Kosmetikerin und arbeitete zu Hause;
schlagen oder anzuschreien. Was sein Benehmen anbelangte, würden sie ihm erklären,
unter dem Vorwand, dass das Ein- und Ausgehen der Kundschaft seine Studien störe, brach
dass seine Schreie, Drohungen, Schlafstörungen und andere Angriffe gegen die Eltern und
Leo oft in Geschrei und Gezeter aus. Außerdem leitete er Telefonnachrichten für die Mutter
gegen den Bruder als schiere Gewalttätigkeit bezeichnet werden könnten. Deshalb würden
nie an sie weiter. Bei diesen Gelegenheiten reagierte Susanne mit Schimpfen und manchmal
sie die Eltern unterstützen, alles Mögliche zu tun, um die Gewalt (beiderseits) und seinen
auch mit Hieben. Nach einem solchen Ausbruch hat Leo einmal die Polizei angerufen, sich
Forderungen (die genau beschrieben wurden) ein Ende zu setzen4.
dann aber entschieden, doch keine Anzeige zu erstatten.
Leo war aufgebracht über den elterlichen „Verrat“. Er traf sich mit zweien der Helfer, um die
Die Eltern beschuldigten sich gegenseitig: Mario bezichtigte Susanne, dass sie Leo verstieß,
Dinge von seinem Gesichtspunkt aus darzustellen. Über diese Entrüstungsäußerung hinaus
und Susanne klagte Mario an, dass er Leos Benehmen unterstütze. Leo war sehr geschickt
überraschte Leo die Eltern dadurch, dass er sich an die Aufhebung aller seiner Verbote und
darin, die Lage zu seinem Vorteil zu nutzen, da Mario sich verpflichtet fühlte, Leos Klagen
Forderungen ohne Schwierigkeit anpasste. Die Eltern konnten kaum glauben, dass sämtli-
gegen Susanne mit der größten Empathie zuzuhören. Die Eltern wurden sich schließlich
che Regelungen, denen sie sich so lange gebeugt hatten, auf ein Mal zusammenfallen
einig, dass die Unterdrückung gestoppt werden musste. Die Idee des gewaltfreien Wider-
konnten, ohne jegliche neue Symptome oder Gewaltausbrüche nach sich zu ziehen.
standes half ihnen, ihre Differenzen zu überbrücken: Mario fand Trost darin, dass Susanne
Dennoch gab es keine Besserung bei Leos Beschimpfungen der Mutter, seinen Störungen
ihre Ausbrüche kontrollieren müsse, und Susanne darin, dass Mario Leo nicht mehr gegen
ihrer Arbeit oder seinem Umgang mit den Handtüchern. Die Eltern zögerten, ob die Zeit reif
sie unterstützen würde. Die Unterbreitung der Grundsätze und der Methoden, die ange-
war zu einer neuen Anstrengung, besonders da sie sich derzeit in einem schweren Dilemma
wendet werden würden, hatte eine mobilisierende Wirkung besonders auf Mario: er
befanden: Dan war eine Reise ins Ausland als Bar-Mizwa-Geschenk versprochen worden.
gestand sogar, dass auch er gewalttätige Ausbrüche gegen Leo gehabt habe, sogar häufiger
Es sollte eine Familienreise sein, wie es auch bei Leos Bar-Mizwa gewesen war. Angesichts
als Susanne. Susanne ihrerseits sah wohl ein, dass das Einstellen ihrer Ausbrüche nötig war,
der Lage mit Leo fürchteten sich die Eltern jedoch vor einer gemeinsamen Reise. Die Eltern
nicht nur um eine Eskalation zu verhüten, sondern auch um Marios Engagement aufrecht-
versuchten die Bedingung vorzubringen, dass Leo nur mitreisen könne, wenn die Be-
zuerhalten. Die Eltern bekamen ein Heft mit den Grundsätzen und Methoden des gewalt-
schimpfungen und Störungen bei der Arbeit der Mutter aufhörten. Sie forderten eine Woche
freien Widerstandes3, mit der Anweisung es zu kopieren und an verschiedene Freunde und
Prüfung. Diese Bedingung stellte sich als ein Fehler heraus. Leo beherrschte sich zwei Tage
Verwandte auszuteilen, um ihre Unterstützung von vornherein zu garantieren (diese
lang: daraufhin nahmen die Ausbrüche noch zu. Mario und Susanne waren sich einig, dass
Mobilisierung von äußerlicher Hilfe ist eine der zentralen Ideen des gewaltfreien Wider-
eine gemeinsame Reise unter solchen Umständen zur schieren Hölle ausarten würde. Nach
standes). Diese potenziellen Helfer wurden zur zweiten Sitzung mit eingeladen.
sorgfältiger Abwägung aller Argumente beschloss schließlich Susanne, die Reise mit Danalleine anzutreten.
3) Diese Anweisungen wurden im Rahmen unseres Projekts entwickelt. Sie enthalten detaillierte
Wiederum überraschte Leo die Familie mit einer Reaktion, die viel milder war, als sie sich
Beschreibungen einer Reihe von gewaltfreien Methoden wie: „das Sit-in“, „die Suche nach
eingebildet hatten. Zwar schrie er, schimpfte und beklagte sich wegen der Ungerechtigkeit,
untertauchenden Kindern“ und „die Anwendung von Versöhnungsmaßnahmen“. Einige dieserMethoden sind in Omer & v. Schlippe (2002) beschrieben. In Vorbereitung befindet sich alsweiteres Werk der beiden Autoren: Autorität durch Beziehung. Die Praxis des gewaltfreien
4) Diese Stellungnahme durch Helfer von außen spielt beim gewaltfreien Widerstand eine zentra-
le Rolle, nämlich die der „öffentlichen Meinung“. O R I G I N A L B E I T R Ä G E O R I G I N A L B E I T R Ä G E
Gewaltfreier Widerstand im Umgang mit gewalttätigen Kindern mit Zwangsstörungen
aber nicht viel mehr als üblich. Susanne und Dan reisten, Mario und Leo genossen ihre
Susanne hielt weiterhin einige der Elemente des Streiks aufrecht: die Fahrten blieben fast
gemeinsamen Tage aufs beste. Als die Reisenden zurückkehrten, reagierte Leo anfangs mit
gänzlich aus (auch mit Dan) und die Lieferung von Handtüchern beschränkte sich auf eines
Schreien und Türzuwerfen auf jegliche Erwähnung der Reise. Nach ungefähr drei Tagen fing
pro Tag. Die Beziehung zu Leo wurde nicht positiv, aber die Demütigungen, ganz zu
er jedoch an zuzuhören und sogar Fragen zu stellen. Nochmals hatte die Familie das
schweigen von der Kontrolle, verschwanden nahezu ganz. Leos andere Zwangshandlungen
Brechen eines Tabus glimpflich überstanden.
blieben auf ihrem vorherigen Niveau, alle Zwangshandlungen, die durch die Familieausgeführt werden mussten, verschwanden gänzlich. Susanne fasste die Änderungen
Zu dieser Zeit beschlossen die Eltern, eine Pause in der Beratung zu machen: sie fühlten,
folgendermaßen zusammen: „Ich fühle mich viel sicherer. Ich weiß, dass ich imstande bin,
dass der Fortschritt erheblich war und dass es kein brennendes Bedürfnis gab, eine neue
mich gegen die Kontrolle und den Missbrauch zu wehren. Daher ist mein Groll gegen Leo
Anstrengung zu unternehmen. Susanne war noch allerlei Demütigungen ausgesetzt, aber
fast verschwunden. Der Groll war zu 90 % nichts als meine eigene Hilflosigkeit!“ Der Fokus
viel weniger als früher. Sie fuhr Leo noch zur Schule, zum Klavierunterricht und zu seinen
ihrer Aufmerksamkeit lag nunmehr nicht so sehr auf dem, was Leo tat, als vielmehr auf dem,
Nachhilfestunden, jedoch ohne sich dem Radio- und Gesprächsverbot zu unterwerfen. Was
was sie selbst tat. Damit hatte sie ihre Selbstständigkeit wiedergewonnen.
ihre Arbeit anging, beschloss sie außerhalb des Hauses zu arbeiten: das stimmte auch mitihrem Willen überein, weniger in stetiger Berührung mit Leo zu sein. Ihrem Entschluss zum
Sich einmauernde Kinder
Trotz kamen die Eltern nach zwei Monaten zu der Therapie zurück: Leo hatte Susannewährend einer Reise auf den Kopf gehauen, weil sie sich geweigert hatte, das Radio leiser
Charakteristika
zu stellen. Mario hatte ihr die Schuld gegeben: das sei seiner Meinung nach nichts als eine
Diese Kinder schneiden allmählich ihre Beziehungen zur Außenwelt ebenso ab wie zu den
verspätete Auswirkung ihrer Reise. Susanne entgegnete, dass Mario Leos Gewalttätigkeit
Eltern und anderen Familienmitgliedern. Diese Entwicklung endet mit der fast vollständigen
wieder ermutigt habe. Diesmal war es dem Therapeuten klar, dass nur Susanne bereit war,
Isolierung des Kindes: es lebt allein und beschäftigt sich ausschließlich innerhalb seiner
gewaltfreien Widerstand anzuwenden, während Mario für passive Duldsamkeit stand. Der
privaten Welt. Den Eltern ist der Eintritt ins Zimmer untersagt. Wenn es überhaupt noch zu
Therapeut entwickelte die Hypothese, dass in einem solchen asymmetrischen Zustand
einer Wechselwirkung mit ihnen kommt, ist sie durch Beschuldigungen, Beschimpfungen
vielleicht eine ebenfalls asymmetrische Lösung am Platz wäre. Er schlug Susanne vor, einen
und sogar körperliche Gewalt seitens des Kindes charakterisiert. Oft kehrt das sich
Dienstleistungsstreik zu erklären unter gleichzeitiger Mobilisierung von Unterstützung
einmauernde Kind Nacht und Tag um; damit ist jede Möglichkeit für Interaktionen mit der
durch „öffentliche Meinung“ (Freunde und Verwandte). Das Ziel des Streiks war es, den
Familie, ganz zu schweigen von der äußerlichen Welt, noch mehr begrenzt.
Demütigungen und der fortwährenden Ausnutzung durch Leo Einhalt zu gebieten. Susanne
Die Selbsteinmauerung entsteht nach und nach. Familienereignisse (Feierlichkeiten, Mahl-
entschloss sich, das Fahren, das Kochen, das Waschen und den Nachschub von Handtü-
zeiten, Familienausflüge, Ferien) und Kontakte mit der Außenwelt (Schule, Freizeitausflüge)
chern (über ein Handtuch am Tag hinaus) einzustellen. Die Helfer wurden auf dem
fallen allmählich aus; Gespräche mit Familienmitgliedern werden knapper und schroffer
Laufenden gehalten. Sie sollten Leo benachrichtigen, dass sie von der Gewaltanwendung
und manchmal verschwinden sie ganz und gar; das Kind verbringt immer mehr Zeit
und der Ausnutzung Bericht bekommen hatten und dass sie unter diesen Umständen
eingeschlossen und Maßnahmen der absoluten Bewahrung der Privatsphäre (Schlösser,
Susannes Streik billigten. Susanne sollte alle neuen gewalttätigen Vorkommnisse aufschrei-
Drohungen und Bestrafungen der Eindringenden) werden getroffen. Das Endstadium der
ben und den Helfern (und noch zusätzlichen Leuten) schriftlich berichten. Der Therapeut
totalen Selbsteinmauerung (in den schwersten Fällen verlässt das Kind das Zimmer nur
wandte sich an Mario und sagte ihm, dass, obwohl er nicht an dem Streik teilnahm, seine
nachts) tendiert dazu, chronisch zu werden: in unserer Stichprobe gab es einige Fälle, wo
Stellung eine höchst wichtige Wirkung haben würde. Es stellte sich heraus, dass Mario den
die Einmauerung einige Jahre dauerte.
Entschluss fasste, Susanne moralisch zu unterstützen.
In allen Fällen, die zu unserer Kenntnis kamen, stellte sich heraus, dass das betroffene Kind
Leo legte eine erstaunliche Fähigkeit an den Tag, sich den Einschränkungen anzupassen. Er
Zwangshandlungen oder starke obsessive Neigungen schon lange vor der Selbstein-
fing wieder an, mit dem Bus zu fahren (nach einer Unterbrechung von zwei Jahren),
mauerung zeigte. Erstaunlicherweise fanden wir bei unseren Fällen keinen Fall von
begnügte sich mit einem Handtuch am Tag, bereitete sich und auch seinem Vater und
Schizophrenie (laut DSM-IV Kriterien) vor, obwohl einige dieser Kinder eine solche
seinem Bruder (ein Mal sogar seiner Mutter!) Mahlzeiten zu und brachte seine Gewaltaus-
Diagnose (in absentia) von Psychiatern, die die Eltern konsultiert hatten, zumindest tentativ
erhalten hatten. Wie zu erwarten war, hatte die neue Diagnose (Zwangsstörung statt
O R I G I N A L B E I T R Ä G E O R I G I N A L B E I T R Ä G E
Gewaltfreier Widerstand im Umgang mit gewalttätigen Kindern mit Zwangsstörungen
Schizophrenie) eine sehr positive Wirkung auf die Eltern: sie wurden motiviert, durch
ander setzt, involviert das „Sit-in“ bei den sich einmauernden Kindern eine unmittelbare
gewaltfreien Widerstand einzugreifen. Meines Erachtens wird die Diagnose von Schizo-
Schwächung des problematischen Musters: ein Kinderzimmer, in dem die Eltern sitzen, ist
phrenie oft durch die „absonderlichen“ oder „bizarren“ Verhaltenszüge veranlasst und
schon nicht mehr eine unantastbare Burg! Die Unantastbarkeit ist um so mehr entweiht, je
nicht durch stärkere Kriterien wie Gedankenstörungen, Affektstörungen oder Halluzinatio-
länger die Eltern in dem Zimmer sitzen. Nach einer oder zwei Stunden elterlicher
nen. Die „Absonderlichkeiten“ können jedoch als das Ergebnis von Zwangsstörungen mit
Anwesenheit enthält die Stätte des Selbsteinmauernden eine erhebliche Veränderung: der
langwährender Absonderung erklärt werden. Eigentlich verlieren diese Kinder wegen ihrer
„Geruch der Eltern“, die Hitze ihrer Körper, die Verknitterungen, die ihre Körper auf den
Isolierung allmählich jegliches Bedürfnis, sich an herrschende Normen anzupassen. Daher
weisen sie keine besonders tiefe Pathologie auf, sondern sind vergleichbar mit anderen
Die größte Furcht der Eltern, die dazu führt, dass sie wie bei den Eltern von kontrollierenden
Menschen, die in totaler Isolierung leben (z. B. religiöse Anachoreten, misanthropische
Kindern in passiver Duldung verharren, ist, dass das Kind einen seelischen Zusammenbruch
Eremiten oder Häftlinge, die lange Zeit in Einzelhaft verkümmern).
erleiden, von zu Hause wegrennen oder einen Suizidversuch machen könnte. Die folgen-
Im Gegensatz zu kontrollierenden Kindern streben die sich selbst einmauernden Kinder
den Argumente können den Eltern helfen, mit diesen Ängsten zurechtzukommen:
nicht danach, die Familie zu unterdrücken, sondern sich von ihr abzuschneiden. Die zwei
(a) Die Fortsetzung des Sich-Einmauerns führt mit Sicherheit zu einer gravierenden Schä-
Gruppen unterscheiden sich auch angesichts des Alters voneinander: kontrollierende
digung der kindlichen Entwicklung, da der Lebenslauf des Kindes erstarrt, seine Angst
Kinder gibt es in allen Altersgruppen, sich einmauernde nur von der Adoleszenz ab.
vor der Außenwelt steigt und sein Selbstbewusstsein sinkt.
Ein 16-jähriger Junge hörte allmählich auf, in die Schule zu gehen. Er verbrachte seine Tage
(b) Die Fortsetzung des Sich-Einmauerns steigert das Suizidrisiko, da es mit einer sich ver-
damit, Videoaufnahmen von Fernsehprogrammen zu machen. Die Eltern mussten ihn jede
schlimmernden Depression, Hilflosigkeit und Einsamkeit verbunden ist. Wir wissen von
Woche mit 30 neuen Videokassetten versorgen. Sein Zimmer wurde zu einer unantastbaren
Suizidfällen bei sich einmauernden Kindern (die nicht in unserer Behandlung waren);
Stätte, deren Betreten allen verboten war. Die Wände außerhalb seines Zimmers, die
dahingegen gab es keinen Suizidversuch und keinen Fall von seelischem Zusammen-
ebenfalls mit Videokassetten bedeckt waren, wurden der Familie als Tabu erklärt. Er
bruch bei den Fällen, wo die Eltern gewaltfreien Widerstand anwandten; es gab zwar
unterbrach jegliches Gespräch mit den Eltern (seine Schwester fungierte als Vermittlerin). DieMutter bekam eine besonders schlimme Behandlung: ihr war es verboten, sich im selben
zwei Fälle, wo Kinder nach dem elterlichen „Sit-in“ wegrannten, aber bei beiden
Stock zu befinden wie der Junge. Jede Begegnung mit ihr wurde von ihm durch Schimpfen
dauerte das Wegrennen lediglich einige Stunden.
und Bewerfen mit Gegenständen begleitet. Einige Zeit telefonierte er noch mit zwei Freunden
(c) Der gewaltfreie Widerstand vermittelt nicht nur eine negative, sondern auch die positive
über Handy. Als die Eltern über die hohe Telefonrechnung klagten, legte der Junge das Handy
Botschaft: „Ich stehe bei dir“. Es gilt hervorzuheben, dass die Wiederherstellung der
auf den Wohnzimmertisch und verzichtete fortan auf jegliche Verbindung mit der Außen-welt. Die Versuche der Eltern, ihm das Handy zurückzugeben, scheiterten.
elterlichen Präsenz (Omer & v.Schlippe 2002), die durch den gewaltfreien Widerstandvermittelt wird, die Einsamkeit und Verzweiflung des Kindes verringert. Gewaltfreier Widerstand bei sich einmauernden Kindern
Über diese Argumente hinaus ist es höchst wichtig, die Eltern auch mit praktischen Mitteln
In diesen Fällen sticht die totale Abhängigkeit des Verhaltensmusters des Kindes von dem
auszustatten, die ihnen nicht nur ihre Ängste zu beschwichtigen helfen, sondern auch
der Eltern hervor. Die unantastbare Stätte des Kindes könnte nicht einen einzigen Tag ohne
erlauben sich mit dem Gegenstand ihrer Ängste auseinander zu setzen. Das geschieht,
die Unterstützung der Eltern fortbestehen. Das Hauptgebot, das für den Fortbestand der
wenn die Eltern Pläne entwickeln, wie sie den möglichen Reaktionen des Kindes gegen-
Selbsteinmauerung absolut unentbehrlich ist, ist das der „Heiligkeit des Territoriums“. Diese
übertreten können, z. B. indem sie vorzeitig ein Unterstützungsnetz bilden, deren Mitglie-
Heiligkeit entsteht durch das Eintrittsverbot und das Veränderungsverbot: keiner außer dem
der bereit sind zu helfen, das Kind zu suchen, falls es wegrennt, über es zu wachen, falls
betreffenden Kind darf die Stätte betreten oder dort irgendeine Veränderung vornehmen.
es extreme Drohungen ausdrückt, und es emotional zu unterstützen, damit es sich nicht
Diese Verbote bilden den Kern jedes Programms von gewaltfreiem Widerstand gegen das
allein und verlassen fühlt. Die Helfer können oft eine wichtige Rolle als Vermittler spielen,
wenn die Eltern und das Kind nicht imstande sind zu kommunizieren. Solche Vermittlungermöglicht die Erarbeitung von akzeptablen Lösungen, wo ein direkter elterlicher Versuch
Das territoriale Wesen des Sich-Einmauerns verleiht dem „Sit-in“ (Omer & v. Schlippe 2002)
eine besondere Wirkung. Während das „Sit-in“ bei aggressiven kindlichen Musternmeistens dazu führt, dass das Kind sich allmählich mit den elterlichen Positionen ausein-
O R I G I N A L B E I T R Ä G E O R I G I N A L B E I T R Ä G E
Gewaltfreier Widerstand im Umgang mit gewalttätigen Kindern mit Zwangsstörungen
Fallbeispiel 2: Das Labyrinth
wechseln und das Zimmer zu putzen, mit ihnen die Mahlzeiten einzunehmen und wiedermit ihnen zu sprechen. Sie sagten, dass er mit den Änderungen in drei Tagen beginnen solle.
Erwin war 13, als er aufhörte, die Schule zu besuchen. Seine ohnehin seltenen Beziehungen
Bei Fortsetzung der jetzigen Lage würden sie sich durch ein Programm von gewaltlosem
mit Kindern waren damit zu Ende. Er sprach zunehmend weniger mit seinen Eltern. Die
Widerstand entschieden widersetzen. Sie stellten auch heraus, dass sie nicht allein mit
gemeinsamen Mahlzeiten wurden ausgesetzt: Erwin wärmte sein Essen auf, das die Mutter
ihrem Problem bleiben, sondern auch andere Leute involvieren würden.
für ihn gekocht und in den Kühlschrank gestellt hatte, und aß es allein mitten in der Nacht. Sein Zimmer war mit allerlei Gegenständen, die er jahrelang gesammelt hatte, vollgestopft.
Erwin traf keine Anstalten die Lage zu ändern. Die Eltern kamen nach drei Tagen wieder in
Da waren Haufen von Kinderzeitschriften, Schulheften, Legoraumschiffen usw. Das Zim-
sein Zimmer, wiederholten ihre Forderungen und blieben dann eine ganze Stunde still
mer sah aus wie ein Labyrinth: um sich darin zu bewegen, musste man den Plan gut kennen,
sitzen. Nach einer Stunde brach Erwin die Stille und fing an die Eltern anzuklagen, dass sie
da die kleinste falsche Bewegung eine „Lawine“ auslösen konnte. Vor seiner endgültigen
sein Leben zuschanden gemacht hatten. Die Eltern antworteten nicht. Sie verließen das
Einschließung gab es tagtägliche Streitereien zwischen Erwin und seiner Mutter um Erwins
Zimmer nach anderthalb Stunden und sagten, dass sie noch keine Lösung hätten. Die Eltern
entschiedene Forderung, dass die Mutter nichts im Zimmer berühren dürfe. Einmal, an
kamen am nächsten Tag wieder und berichteten, dass sie, wie gesagt, nicht allein mit dem
einem günstigen Tag, erschlichen die Eltern Erwins Zustimmung zu einem Besuch beim
Problem geblieben wären: zwei Freunde säßen nun hinter der Tür und würden wiederkom-
Psychiater. In der Sitzung sagte Erwin kein einziges Wort. Der Psychiater wies ihn in ein
men, um ihnen beizustehen, wenn sie das Labyrinth aufzuräumen beginnen würden. Erwin
Krankenhaus ein, wohin die Eltern ihn sofort mitnahmen. Nach einer Stunde Warten
blieb mit versteinerter Miene sitzen. Am darauf folgenden Tag kamen die Freunde wieder
erklärte Erwin: „Hier bleibe ich nicht!“ Die Eltern gingen mit ihm nach Hause und Erwin
und standen dabei, als die Eltern anfingen, das Zimmer aufzuräumen. Die Eltern füllten
einige Pappkisten mit Gegenständen und nahmen sie fort. Erwin stellte sich die ganzeStunde hindurch schlafend. Das Aufräumen dauerte eine ganze Woche. Vom dritten Tag an
Nach und nach entwickelten sich bei Erwin noch bizarrere Verhaltenszüge: er weigerte sich
fühlten sich die Eltern sicher genug, auch ohne die Anwesenheit der Freunde fortzufahren.
sich umzukleiden und zog auch im Sommer Winterkleidung an; er hörte auf sich zu
Sie fingen an, jeden Tag einen positiven persönlichen Brief an Erwin zu schreiben und kleine
waschen und ließ die Nägel seiner Finger und Zehen zu ungeheuren Längen wachsen. Nach
symbolische Geschenke zu hinterlassen. Schon nach zwei Tagen versetzte Erwin die Eltern
einigen Monaten schnitt er plötzlich seine Nägel und fing an, sich mehrmals am Tag zu
dadurch in Erstaunen, dass er begann, das Zimmer tagsüber zu verlassen. Einige Tage nach
duschen. Hinzu kam ein zwanghaftes Händewaschen, das ihn mehrere Stunden am Tag
dem Ende der Aufräumaktion (die Eltern hatten weiter Geschenke gemacht und Briefe
kostete. Seine Hände sahen ständig rot und gereizt aus.
geschrieben), fing Erwin wieder an mit den Eltern zu sprechen.
Als die Eltern zu unserem Projekt kamen, erzählten sie der Therapeutin, dass der damalige
Zwei Wochen nach dem Beginn der Operation kündigten die Eltern Erwin an, dass die
Psychiater die Diagnose Schizophrenie gestellt hatte. Die jetzige Therapeutin sagte, dass sie
Mutter nichts Besonderes mehr für ihn kochen würde. Sie würde eine heiße Mahlzeit
sich nicht mit Gewissheit äußern könne, weil sie Erwin nicht gesehen habe. Jedoch fügte
kochen, und was übrig blieb in den Müll werfen. Erwin antwortete nicht. Zwei Tage danach
sie hinzu, es gebe bei Erwin klare obsessiv-kompulsive Züge, die neben der totalen
erklärte er sich bereit, einmal am Tag mit den Eltern zu essen. Aus eigener Initiative kleidete
Abschottung die Entwicklung der absonderlichen Verhaltenszüge erklären könnten. Sie
sich Erwin um und begann wieder sein Aussehen zu pflegen.
meinte, die Eltern hätten nichts zu verlieren, wenn sie die Strategie von gewaltfreiemWiderstand aufnähmen, da alle anderen möglichen Lösungen sowieso blockiert waren. Die
Zu dieser Zeit teilten die Eltern der Schule mit, was sich zu Hause ereignet hatte. Die Schule
Eltern fragten, ob das Programm schädlich sein würde, falls Erwin tatsächlich unter
sandte zwei Lehrer zu einigen Hausbesuchen. Erwin stimmte zu, zur Schule zurückzuge-
Schizophrenie litte. Die Therapeutin antwortete, dass das Wichtigste in dieser Hinsicht
hen, und tat es auch zwei Wochen lang. Danach schloss er sich wieder in sein Zimmer ein
nicht die Diagnose sei, sondern dass die Eltern sich auf Erwins Reaktionen vorbereiteten,
und weigerte sich mit den Eltern zu essen und zu sprechen. Dieser Rückschlag führte zu
um ihnen entgegentreten zu können. Die Eltern erklärten sich bereit einen Versuch zu
einer neuen Einschätzung der Lage: die Eltern gingen in Erwins Zimmer und erklärten, dass
sie zu einem Kompromiss bereit seien, nämlich dass Erwin Privatstunden bekam, statt in dieSchule gehen zu müssen. Die Eltern mussten drei „Sit-ins“ machen, bis sich Erwin
Sie kamen in das Labyrinth hinein (die Tür war durch einen kleinen Schrank blockiert, den
einverstanden erklärte. Er fing an, mit drei verschiedenen Lehrern zu arbeiten. Nach einigen
sie sorgfältig wegschoben), setzten sich auf das Bett und erklärten, dass sie nicht bereit
Monaten besuchte er die Lehrer sogar zu Hause. Ein Jahr später zeigte er sich bereit, sich
wären so weiter zu machen. Sie forderten Erwin auf, sich umzukleiden, das Bettzeug zu
O R I G I N A L B E I T R Ä G E Haim Omer
an kleinen Schülergruppen mit denselben Lehrern zu beteiligen. Erwin ging nicht in dieSchule zurück, aber er gelangte zu einem akzeptablen Studienniveau. Die Einrichtungen zuHause blieben: eine gemeinsame Mahlzeit am Tag, wenige, aber zumeist positive Gesprä-che mit beiden Eltern, ein normales Zimmer, das wöchentlich geputzt und aufgeräumtwurde, und keine Anhäufung von Gegenständen. Durch die Studiengruppen setzte er sichsogar einigen sozialen Kontakten aus. Das kompulsive Händewaschen blieb. Erwin führteimmer noch ein eingeengtes Leben und die Zukunft blieb nebelhaft. Aber die Situationähnelte nicht im entferntesten den Tagen des Labyrinths. Literatur
Omer, H., Schlippe, A. v. (2002). Autorität ohne Gewalt: Coaching für Eltern von Kindern mit
Verhaltensstörungen – Elterliche Präsenz als systemisches Konzept. Göttingen: Vandenhoeck& Ruprecht.
Omer, H., Schlippe, A. v. (2004). Autorität durch Beziehung. Die Praxis des gewaltfreien Wider-
standes in der Erziehung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht (i. Vorber.)
Sharp, G. (1973). The politics of nonviolent action. Boston, MA: Extending Horizons Books.
Haim OmerTel-Aviv UniversityInstitute for PsychologyTel-Aviv Israel. E-Mail: [email protected].
Metformin WHAT IS METFORMIN? • Metformin is a medication used to treat type 2 diabetes, which is also known as non-insulin- dependent diabetes mellitus. It works by lowering or regulating the amount of sugar in your blood. WHAT IS THE MOST IMPORTANT INFORMATION I SHOULD KNOW ABOUT METFORMIN? • In rare cases, metformin can cause a serious side effect called lactic acidosis. Lactic
EIDON, nº 40 diciembre 2013, 40:25-38 DOI: 10.13184/eidon.40.2013.25-38 Adecuación del esfuerzo terapéutico en los pacientes con alteraciones crónicas de la conciencia José Ramón Ara Callizo Servicio de Neurología, Hospital Universitario Miguel Servet. Zaragoza Los estados de alteración crónica de la conciencia, específicamente el estado vegetativo y el estado de míni