Beerenleitner lacht los. Es zerreißt ihn fast. Er muss sich
schnäuzen. Filipowicz hat Humor. Das muss man ihm lassen. „Bildung“, erklärt er, „ist so wie Ihre Krawattennadel: schön,
Wien, Innere Stadt. Oktober 2006
Redakteur Beerenleitner und Filipowicz sitzen im Café Bräu-
nerhof und rühren beide in einer Mokkatasse.
Vor 37 Jahren, 1974, hatte Beerenleitner diesen Adam Filipo-
Worte wie Fliegen. Die summen, stechen aber nicht. „Bee-
wicz kennengelernt, im Zug von Warschau nach Wien, im Kor-
renleitner, Sie sind eine Belästigung.“
ridor des Chopin-Express. Die tschechischen Hunde bellten.
„Da überschätzen Sie mich“, antwortet Beerenleitner. „Ich
Die Zöllner waren scharf. Die Hunde waren scharf. Beerenleit-
ner schiss sich fast an, und Filipowicz, ein Mann im tauben-
Filipowicz nickt. „Sie sind ein Kellner.“
blauen Anzug und mit weißen Händen, die aus zu kurzen Är-
meln ragten, erzählte Geschichten über Geheimverstecke und
„Weil Sie sich mit Trinkgeldern zufrieden geben.“
Devisenschmuggler. Lautstark. In perfektem Deutsch. Schon
Damit hat Filipowicz recht, denn Beerenleitner ist eine
allein das war eine Provokation. „Haben Sie bemerkt, dass die
verkrachte Existenz, ein freier Mitarbeiter beim Großen Blatt,
polnische Eisenbahngesellschaft diese Schrottwaggons schon
einer, der vierteljährlich gekündigt wird und daher froh sein
längst nicht mehr repariert“, ätzte Filipowicz. „Zahlt sich nicht
muss, dass ihm überhaupt noch jemand „Geschichten“ ab-
aus“, gab er sich selbst die Antwort, „weil die tschechischen
kauft. Und die Preise der Storys fallen. Auf den investigativen
Zöllner ohnedies wieder alles kaputt machen.“ Filipowicz deu-
Journalismus pfeifen die Herausgeber. Denn der ist personal-
tete belustigt auf den Resopalplatten-Plafond. Dort fehlte jede
intensiv und teuer. Notfalls bestellt man „Content“ von außen.
zweite Schraube. „Vor ein paar Jahren haben die Schwejks in
Oder man besetzt vakante Stellen mit Absolventen aus dem
der Zwischendecke einen rumänischen Flüchtling entdeckt.
Bologna-System. Diese Schnellsieder wikipedieren dann schon
Seitdem sind sie fanatische Zwischendeckenabmontierer, ech-
was zusammen. Auf die Erfahrung der Alten hingegen kann
te Demolierungsprofis. Die zerlegen alles gründlich. Beim Wie-
man scheißen. Weil „erfahrungsintensiv“ mit „kostspielig“
derherstellen des ursprünglichen Zustandes sind sie aber weni-
gleichzusetzen ist, und Zeitungen streichen Kostspieliges.
ger penibel. Schauen Sie sich das ruhig an! Jetzt hängen die
„Generation Praktikum“, bemerkt Beerenleitner. „Es gibt
Abdeckplatten durch, es fehlen die Halterungen. Na ja, wahr-
keine Tiefe, da wird alles bloß zusammengestoppelt.“
scheinlich sind die meisten Grenzschützer Besitzer von Schre-
Filipowicz nickt: „Ja, keine Bildung! Wo bleibt die Bil-
bergartenhütten, und Schrauben, die man im Geschäft nicht
bekommen kann, klaut man eben aus polnischen Waggons.“
Beerenleitner war dieser Vortrag über den tschechischen
Wort „Valuten“ zusammen, als hätte er einen Schlag bekom-
Transithandel unangenehm, zumal eine Horde uniformierter
men. In der Ferne knallte ein Waggon gegen einen anderen.
Halbstarker auf sie zukam. Die Grenzer wurden von deut-
Beerenleitner hielt noch immer den Atem an. „Valuta“ heißt in jeder Sprache „Valuta“. Die Lippen des Grenzsoldaten zuck-
Filipowicz dachte gar nicht daran, seine Stimme zu sen-
ten. Jeder Arsch verstand „Valuta“. Filipowicz stieß wieder sein
ken. „Da, die Bezüge der Sitzbänke! Die sind doch überall
„Ch, ch, ch“ aus, während seine frostblauen Augen den Korri-
aufgeschlitzt, und kein Mensch denkt daran, sie zu flicken.
dor abtasteten. Beerenleitners Brustkorb zog sich zusammen.
Die Tschechen sagen sich: ‚Das sind ja ohnedies nur Sitzbänke
Jetzt werden sie uns hinausführen in die eisige Kälte und uns
der Polnischen Staatsbahnen.‘ Und die Polen sind der Ansicht:
Stunde um Stunde warten lassen. In quälender Ungewissheit.
‚Diese Tschechen sind eifersüchtig, weil wir ins kapitalistische
Auf einem Abstellgleis. Und wenn einem Zöllner danach ist,
Ausland reisen dürfen, während sie lebenslänglich in ihrem
greift er dir an die Eier, weil er behauptet, du hättest Papiergeld
Staatsgebiet eingesperrt sind. Deshalb zerfetzen sie unsere
mit einem Gummiring an deinem Sack befestigt.
Polsterbänke. Hass und purer Neid! Es hat gar keinen Sinn, die Löcher zuzukleben, denn beim nächsten Transit wird die böh-
„Was ist das Unfassbare an mir?“, fragt Filipowicz.
mische Wut, Messer zu ziehen, nur noch größer.‘“ Die Schäfer-
hunde bellten. Beerenleitner wurde ganz anders, während Fili-
„Sie haben doch vorhin gesagt: ‚Ich finde das Unfassbare
powicz die Zähne zusammenpresste und „Ch, ch, ch!“ machte.
Die pausbäckigen Kaisersemmelgesichter der tschechischen
„Ich habe niemals von Unfassbarem gesprochen …“
Hundeführer hatten sich auf zwei Meter genähert. Beerenleit-
ner roch das saure Joghurt, das aus ihren Mündern kam. Da
sagte Filipowicz: „In den Polsterschlitzen der Sitzbänke pfle-
gen Valutenschmuggler ihre Schätze zu verstecken.“ Jetzt war
Beerenleitner hebt den Blick. Filipowicz’ Lippe hängt
der erste Grenzsoldat bei Beerenleitner. Er konnte die wasser-
schief. Er rümpft die Nase, zieht die Oberlippe an. Der Mann
blauen Augen sehen. Gleichzeitig hörte er Filipowicz hinter
seinem Rücken lästern: „Die Tschechen sind übrigens begna-
„Das Unfassbare ist …“, sagt ihm Beerenleitner ins Ge-
dete Nesträuber. Sie räumen die Polsterspalten aus, weil die
sicht, „dass Sie einfach auf irgendjemanden einreden.“ Wenn
Geldscheine darin offensichtlich herrenlos sind. Oder können
ich ihm jetzt keine Antwort gebe, schmeißt er mir das Was-
Sie sich vorstellen, dass sich ein Schmuggler zu seinen Valu-
serglas ins Gesicht, denkt er sich. „Sie können sich nicht be-
ten bekennt?“ Beerenleitner atmete kräftig ein und nicht mehr
herrschen, Sie sprudeln drauflos“, fährt er dann fort, „tun so,
aus. Filipowicz lachte sein „Ch, ch, ch“. Beerenleitner begann
als würden Sie den Angesprochenen kennen, obwohl Sie ihm
unter Sauerstoffnot zu leiden. Der Grenzsoldat zuckte beim
niemals zuvor begegnet sind. Trotzdem täuschen Sie Wild-
fremden gegenüber Vertrautheit vor. Dabei will Ihr Gespräch
Österreich zu bleiben – und bums, nach wenigen Jahren ist
gar nichts vermitteln. Es ist nur ein Geräuschschatten, hinter
aus dem politischen Flüchtling auch schon ein Multimillio-
dem Sie sich verstecken. Während sich Ihre Lippen bewegen,
när geworden. ‚Verdammt schnell, verdammt unkompliziert‘,
sagt man sich. ‚Wie war das denn möglich? Wie ist das bloß
gegangen? Da muss doch jemand nachgeholfen haben.‘“ Jetzt
„Sie weiden sich an der Angst des anderen. Sie beten die
stößt Filipowicz kein „Ch, ch, ch“ mehr aus. Mit einem kehli-
gen Lachen hustet er sich fast die Lunge aus dem Leib. „Des-
halb ‚unfassbar‘!“, keucht er. Er läuft rot an. „Mister Beeren
„Es macht Sie geil, wenn der andere sich fast in die Hose
leitner hält mich für einen Agenten.“ Filipowicz klatscht zu-
erst auf den eigenen Schenkel, dann auf Beerenleitners. „Ob-
wohl Agent, noch immer frei. Unfassbar eben.“
„Wie damals, vor 37 Jahren. Im Zug …“
In der Stallburggasse wird es mit einem Mal finster. Eine
Gewitterwolke wahrscheinlich. Auf Filipowicz’ Gesicht liegen
„Die tschechischen Hunde bellten, die kommunistischen
Zöllner waren scharf, ich schiss mich fast an, und Sie er-
„Sie Wiener, Sie!“, tobt er. „Sie können reiche Polen nicht
zählten lautstark eine Geschichte über Geheimverstecke und
Devisenschmuggler. In perfektem Deutsch. Das war eine Pro-
„Warum soll ich sie riechen? Sie stinken doch nicht.“
vokation. Das sah aus, als hätten Sie es darauf angelegt …“
„Nur ein armer Pole ist ein guter Pole!“, brüllt Filipo wicz.
„Er darf euch allenthalben die Wohnung renovieren, den
Beerenleitner macht eine wegwerfende Handbewegung.
„Was weiß ich … wahrscheinlich haben Sie gar nichts ris-
„Herr Filipowicz …“, äfft ihn Filipowicz nach. „Der Herr
„Weil Sie zu denen gehörten.“ Beerenleitner hat seinen
„Ein bisschen leiser, Herr Filipowicz. Ich bitte Sie! Die
Leute schauen schon.“ Beerenleitner schaut sich besorgt um.
Filipowicz’ Gesicht wirkt plötzlich wie aus Stein gehauen,
ein Schädel von Hrdlicka. Er springt vom Sessel auf, wirft
„Am besten, man krepiert!“, brüllt Filipowicz jetzt noch
den Aschenbecher auf den Boden, hält inne, lacht plötzlich
lauter, „wie Adam Mickiewicz, 1855, an der Cholera in Kon-
vor sich hin. „Ach so“, höhnt er. „So ist das also. Ein Pole
fährt über die Grenze, ist hochgebildet, schaut sich ein biss-
„Mit Verlaub“, bremst ihn Beerenleitner ein, „da über-
chen den Westen an, Wien gefällt ihm sehr, er beschließt, in
ken“, sagt er. Dann zündet er sich eine dicke Mercator an und
„Weshalb sollte jemand, den es nie gegeben hat, krepie-
hält Beerenleitner den ledernen Zigarrenköcher vor die Nase.
„Rauchen Sie!“, befiehlt er ohne jeden Anflug von Höflichkeit.
„Sie meinen, die Österreicher kennen den polnischen Na-
„Sie wollten mir reinen Wein einschenken“, erinnert Bee-
Beerenleitner lässt sich mit der Antwort Zeit. Er schielt
„Ach ja, stimmt!“, antwortet Filipowicz und bestellt eine
auf die Oberschenkel des Mädchens am Nebentisch. Auf
Flasche Wodka Wyborowa. „Wau, wau!“, bellt er dann.
ihrem rechten Schenkel sitzt ein Muttermal. Dann sagt er:
„Das ist nichts Besonderes. Fragen Sie einen Wiener, wo das
„Nein, besoffen. Ein Wolf eben. Fit lupus.“
Grillparzer-Denkmal steht, und er wird Ihnen nach einigem
„Worauf ich verzichten kann. Wenn ich Action brauche,
Zögern bescheiden: ‚Sie meinen wahrscheinlich die Donauin-
schalte ich den Fernsehapparat ein, und zwar zu Hause.“
sel? Aber dass es dort ein Grillplatzerl-Denkmal gäbert, hätt
„Tun Sie alles, nur das nicht! Es bestünde die Gefahr einer
Staubexplosion … weil Ihre Wohnung so dreckig ist.“
Der Ober kommt angeflitzt und bittet die „Herren“, sie mö-
„Mir reicht’s“, pfaucht Beerenleitner. Er beugt sich über den
gen ihre Stimmen senken, weil es gelte, auf andere Gäste Rück-
Alten, streckt die Arme aus, fischt nach seiner Aktenmappe.
sicht zu nehmen, damit diese ihre heilige Ruhe wiederfänden.
„Na zdrowie!“ Filipowicz trinkt ein Achtel Wodka ex.
Filipowicz will aufbrausen, dem Kellner Schweigegeld
Beerenleitner lässt sich auf den Sessel zurückplumpsen.
aufnötigen, einen Fünfziger in die Hand drücken, damit er
Er bürstet seinen Ärmel, als wäre der staubig. „Trinken Sie
sich schleicht, als ihn Beerenleitner mit Ovid zähmt: „Fit lu-
pus, et veteris servat vestigia formae.*“
„Alkohol ist Viagra fürs Hirn. In meinem Alter braucht
Filipowicz lacht auf. „So sehen Sie mich also. Sie halten
man das. Gestern, zum Beispiel, bin ich ins Hotel Sacher. Da
mir einen literarischen Spiegel vor.“ Fährt dann aber beruhigt
ist so ein Portier dagestanden mit einem Zylinder auf dem
fort: „Sein graues Haar ist ihm geblieben. Gewalt in seinem
Kopf und einem Schal um den Hals. Ich habe ihn angebellt.“
Angesicht. Canities eadem est, eadem violentia vultus.“
„Idem oculi lucent, eadem feritatis imago est“, ergänzt
„Ich habe ihm in seinen Schal gebissen.“
Beerenleitner. „Es glühen weiter seine Augen. Desgleichen
„Er ist dagestanden wie ein Orang-Utan, nach vorne ge-
beugt, mit schlenkernden Armen und offenem Mund. Der hat
sich gedacht: ‚Da kommt ein Achtzigjähriger daher, ist parfü-
„Bleiben Sie!“ Filipowicz zwingt Beerenleitner zurück in
miert und gestriegelt und beißt mir in den Schal.‘ Der Mann
den Kaffeehaussessel. „Ich werde Ihnen reinen Wein einschen-
„Wahrscheinlich hat er sich bloß gewundert, dass Sie sei-
Filipowicz geht in die Knie, dreht sich gegen die Haus-
wand, schaut durch die Scheibe ins Kaffeehaus, sieht Bee-renleitner an. Dann greift er nach einem Fahrrad, das an eine
Filipowicz wirft die Mercator in die Blumenvase, die auf dem
Tisch steht. Das Wasser zischt. „Wissen Sie, Beerenleitner,
In diesem Augenblick springt ein Student im Kaffeehaus
ich werde demnächst ins Gras beißen …“
auf. Er schreit: „He, da will jemand mein Fahrrad klauen!“
„Das ist pervers. Sie sind doch keine Kuh.“
Filipowicz nimmt das Fahrrad. Der Student stürzt zum
„… und Sie, Beerenleitner, werden Ihrer Bestimmung
Ausgang. Filipowicz schiebt das Rad auf dem Gehsteig hin
entgegenschlurfen. Sie werden schön langsam versumpern.
und her. Zwischen ihm und dem Messerstecher. Hin und her.
Schritt für Schritt! Glauben Sie mir, das ist schlimmer als der
Die Tür fliegt auf. Der Messermann blickt zur Seite, auf den
Tod.“ Filipowicz war inzwischen aufgestanden und hat sei-
Studenten. Filipowicz hebt das Fahrrad hoch und wirft.
nen Staubmantel über den Arm geworfen. Jetzt wackelt er
Es kracht gegen den Brustkorb des Messerhelden. Der Stu-
dent stürzt über das Fahrrad. Der Messermann fällt nach hin-
Beerenleitner schaut ihm nach. Er kann sich gut vorstel-
ten, schlägt mit dem Kopf auf. Blut sickert durch sein Haar.
len, wie Filipowicz von vorne aussieht, wie seine Blicke die
Das Fahrrad liegt auf dem Messerstecher und der Student auf
Umgebung abtasten, während die Pärchen an den Marmor-
dem Rad. Der Messermann kreischt. Er windet sich unter
tischchen seine Kauzigkeit belächeln: die Reste eines Wu-
dem Rad hervor, sein Oberkörper ragt auf die Stallburggasse.
schelkopfs, gelocktes, weißes Haar, ein sehniger, noch immer
Bremsen quietschen. Ein grüner Audi knallt gegen einen Hy-
elastischer Körper im Diplomaten-Cutaway.
dranten. Seine Hupe heult im Dauerton. Der Messerstecher
Filipowicz stößt die Glastür auf. Er sieht den jungen Mann
sticht dem Studenten in den Oberarm. Der reißt den Mund
im braunen Anzug auf sich zukommen. Er schaut ihn prüfend
auf. Die Autohupe übertönt sein Schreien. Der Messermann
an, wendet sich nach links. Beerenleitner sitzt noch immer im
rafft sich auf, torkelt auf die andere Straßenseite, beginnt zu
Kaffeehaus. Er reckt den Hals. Für wenige Sekunden verliert er
laufen … Die Klinge seines Springmessers steckt im Arm des
Filipowicz aus den Augen. Jetzt taucht Filipowicz wieder im
linken Drittel der Auslagenscheibe auf. Er macht ein entsetz-tes Gesicht. Die Scheibe zittert. Ein Lieferwagen fährt vorbei.
Wie ein Sommergewitter kommt eine Horde Polizisten ange-
Der junge Mann lächelt Filipowicz an. „Brauchen Sie
„Und du hast nichts gesehen?“, fragt Gruppeninspektor
„Danke, ich rauche nicht.“ In der Hand des jungen Man-
nes liegt kein Feuerzeug, sondern ein Springmesser, aus des-
„Nichts!“, brummt Beerenleitner. „Oder besser gesagt,
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Arthritis in Older Dogs Arthritis is a degenerative condition of the joints, which involves the production of new bone under the tendons and ligaments, as well as under the edges of the joint capsule. Pressure on these little spicules of new bone produces pain. Another feature of arthritis in older animals is degradation of the cartilage (the slippery soft coating of the ends of bones) and